Second Life

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Selten habe ich so eine ambivalente und schwankende Meinung wie zu dem Themenkomplex Second Life. Vielleicht habe ich mich deswegen auch mit Veröffentlichungen zu dem Thema bislang sehr zurückgehalten. Ausserdem muss ich gestehen, die Materie zu wenig en Detail exploriert zu haben. Mindestens acht Stunden sollte man sich Zeit nehmen, um ein Gespür für Second Life zu bekommen, hat uns Philip Rosendale, der Gründer von Linden Labs, dem Unternehmen hinter SL vor einigen Monaten auf der Picnic 2006 in Amsterdam verraten. In etwa so viel Zeit habe ich bereits in der Meta Welt verbracht, zugegebener Maßen aber auch nicht wesentlich länger.

Gepackt hat mich das virtuelle, zweite Leben bislang noch nicht. Auf der anderen Seite werde ich regelmässig gefragt, was ich davon halte, ob dies die nächste Revolution im Web ist. Also das Web 3.0 / Web 3D. Ernstgemeinte und wirklich konkrete Anfragen habe ich dabei wahlweise an einen der beiden deutschen SL Experten bzw. Propagandisten weitergeleitet (Markus bzw. Sebastian). Beide im übrigen in Lohn und Brot von Unternehmen die ihren Kunden ein kostenpflichtiges Ticket in eben diese schöne neue Welt anbieten. Fairerweise muss ich hinzufügen Markus bereits vor Jahren kennen- und schätzen gelernt zu haben, seine Ausführungen zu diesem Thema sind sicherlich nicht nur vor dem eingangs geschilderten Businesshintergrund zu sehen, vielmehr schwingt in seinen Ausführungen auch eine große Begeisterung und dort wo es angebracht ist, auch die entsprechende Kritikfähigkeit für die Materie und ihre Möglichkeiten mit. Derzeit ist seine Second Life FAQ Serie eine sehr gute Anlaufstelle für den (theoretischen) Erstkontakt.

Wenngleich ich also fern davon bin, ein SL-Affinado zu sein, lasse ich allzu negative Stimmen aus dem Kreise von Kollegen oder Freunden auch nicht gelten, denn die theoretische Idee und die Möglichkeiten die uns ein solches Metaversum eröffnen sind nicht zu unterschätzen und überwiegen in meinem Fall manchmal durchaus meinen persönlichen Präferenzen und Erfahrungen.

Gestern titelte der Spiegel mit einer großen Geschichte rund um Second Life – Zeit also meinen Standpunkt einmal auszuformulieren – für Euch zur Diskussion, aber auch für mich als aktueller Snapshot meiner Befindlichkeiten – vielleicht werde ich einiges auch in den kommenden Monaten revidieren…

Der Artikel im Spiegel bleibt erwartungsgemäß an der Oberfläche, zitiert falsch und die Redaktion machte sich nichtmal die Mühe die aus der Linden Labs PR übernommenen Eckdaten zu überprüfen oder auch nur Ansatzweise zu hinterfragen. Dennoch schafft der zwölfseite Bericht es, eine philosophische Einordnung der Idee Metaversum vorzunehmen. Wer Snowcrash gelesen hat, weiß in welche Richtung hier gedacht und geschrieben wird. In einem Interview mit Medientheoretiker Peter Weibel wird ein religöses Bild gezeichnet, in dem SL als neue, zweite Arche Noah beschrieben wird. Das ist dann auch gleich einer der großen Tiefpunkte des Artikels und so ziemlich der größte Bullshit den ich in diesem Zusammenhang bislang lesen durfte. Und das, obwohl es schon haufenweise merkwürdige und übereifrige Berichte und Lobeshymnen gab.

Und wieder: Natürlich negiere ich nicht die Möglichkeiten und Perspektive die uns auch schon die technisch durchaus eingeschränkten Möglichkeiten der Parallelwelt zeigen. Natürlich bietet Second Life einen Platz, in dem man sich treffen und kommunizieren kann. Vielleicht schafft die virtuelle Präsenz der teilnehmenden Personen eine Nähe, die mit anderen Formen der digitalen Kommunikation nicht möglich sind. Aber warum kann man dann nicht miteinander sprechen? Das wäre aus meiner Sicht ein Grundbedürfnis für ein virtuelles Meeting.

Natürlich ist die Zahl von 3 Millionen Registrierungen zunächst hoch, wirklich aktiv davon sind deutlich weniger, laut Eigenangabe von Linden Labs rund 900.000 in den letzten 30 Tagen. Immerhin! Auf der anderen Seite ist SL natürlich derzeit in aller Munde und günstige PR war nie leichter zu haben. Nicht zuletzt aus diesem Grunde fallen unter die aktiven Sessions des letzten Monats eben auch viele dieser neugierigen Tester. Ob diese User tatsächlich bleiben, aktive Einwohner werden, das wird die Zeit zeigen. Bis zu acht Stunden müssten sie investieren,experimentieren um SL wirklich für sich zu entdecken. Dieser Ansturm neuer User wird solang bestand haben, wie Unternehmen die vergleichsweise günstige PR mitnehmen und die Presse gebetsmühlenartig den Aufbruch in eine neue, digitale Zukunft postuliert: Eröffne das erste „was auch immer“ in der digitalen Welt und entsprechende Presse ist Dir sicher. Dabei ist sogar die Qualität der virtuellen Dependance fast egal.

Lässt man die Möglichkeiten zur Kommunikation oder Kollaboration – die einige wenige Unternehmen als Teil ihrer Präsenz umgesetzt haben – einmal aussen vor, stellen sich viele dieser virtuellen Präsenzen von Unternehmen als leere, kalte und wenig marken- oder nutzerrelevant da. Virtuelle Showrooms eben. Wenig wird im Rahmen dieser Berichte über die Akzeptanz dieser kommerziellen Inseln oder dreidimensional gewordenen Flyer und Werbetafeln gesprochen. Dabei sollte man sich leicht die grundlegenden Abwehrhaltung der virtuellen Avatare gegen den Kommerz vorstellen können, der Einzug hält – nun auch in ihr zweites Leben. Und das um so mehr, je weniger fühlbarer Wert diese Präsenz dem gesamten Mikrokosmos bringt.

Dass uns das neue „Web 3D“ bald als dienliches Tool beim Shopping, der Recherche im Web, der Sichtung von Daten und Visualisieren von Zusammenhängen unterstützt mag man sich zunächst sehr leicht vorstellen können, bedenken sollte man dabei allerdings, dass wir eine dreidimensionale Revolution im frühen Web bereits hatten. So habe ich bereits vor vielen Jahren die Idee einer Webseite für eine öffentlich rechtliche Sendeanstallt visualisiert, zum einen als „klassische Web Applikation“ und parallel als in sich geschlossener 3D Kosmos, in dem man sich mehr oder weniger frei durch ein virtuelles Sendezentrum bewegen konnte, Infoterminals besuchen und nutzen konnte etc. Wirklich hilfreich für den User auf der Suche nach Informationen und Interaktionen war das weniger. Das Webfrontend leistetw hier wesentlich bessere Dienste. In der Post Web 2.0 Ära natürlich erst recht, die komfortablen Web-Applikationen die wir heute auf Basis von Ajax und dergleichen bauen können bieten hinsichtlich des Zugriffs und der Manipulation von Daten bzw. letztlich auch von Kommunikation einen Komfort, den man für derlei Usecases im virtuellen Raum nur schwerlich abbilden kann.

Diese erste Form dreidimensionaler Navigation war seinerzeit ein grandioser Flop. Heute bietet natürlich sowohl die Hardware ganz andere Möglichkeiten, breitbandige Internetzugänge machen die Übertragung von aufwändigen Texturen und Modellen möglich. SL glänzt im Vergleich zu aktuellen Spielen auf Computern und Konsolen nicht durch besondere eine besondere Qualität hinsichtlich der Darstellung oder Animation. Aktuelle MMORPG aber auch einfache Shooter und Rennspiele auf den gängigen Konsolen haben bereits seit Jahren neben dem Bild auch den Ton der Mitspieler zu bieten. Dies führt zu einer dichteren Atmosphäre als sie reine Textnachrichten (der Standard in SL) leisten können.

Es bleibt also abzuwarten, welchen Raum virtuelle Welten in „unserem Web“ der Zukunft einnehmen werden. Eine neue Arche Noah entsteht dort sicherlich nicht. Auch die Offenheit die wir derzeit so schön im Netz vorfinden, mit all den APIs, Mikroformaten, Feeds und flexiblen Systemen wird uns das Metaversum nicht bieten können – vielleicht aber einen Ort zur Kommunikation, Kollaboration – und Zerstreuung?

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von Oliver Wagner

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