Themenmonat Tagging: 2. Aktuelle Trends, Probleme und offene Fragen

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Nachdem ich im ersten Teil meines Tag Specials über die Historie von Tags geschrieben und mit del.icio.us einen der Vorreiter vorgestellt habe, gewährt dieser zweite Teil Einblick in Probleme und Limitationen des Taggings, zeigt mögliche Lösungsansätze und aktuelle Trends.

Eine grundsätzliche Diskussion beschäftigt sich im Augenblick mit der Frage wie man zum einen die maximale Anzahl an Tags innerhalb einer Folksonomy reduziert, parallel aber die Individualität des Einzelnen und die Vielfalt nicht zu stark gefährdet.

Warum zu viele Tags nicht gut sind

Es gibt viele Worte, die ähnliches beschreiben. Das ist eine kulturelle Errungenschaft der Sprache und Variationen und Synonyme machen Geschriebenes interessanter, als permanente Wiederholungen. Innerhalb eines Tag-basierten Systems ist allerdings grob pauschalisiert das Gegenteil der Fall. Tags mit ähnlicher oder identischer Bedeutung verwirren den User und erschweren die Benutzung. Damit ein Tag vom System erkannt wird, muss es bei jeder Eingabe exakt identisch verwendet werden. Somit sind die Begriffe Blog, Blogs, Weblogs und Weblog und Blogging unterschiedlich, wenngleich sie aber zumeist das gleiche beschreiben. Um dieser Problematik Herr zu werden ist es sinnvoll den User bei jeder Eingabe zu unterstützen und Mechanismen für die Egalisierung von Tags vorzuhalten damit einheitliche Bezeichnungen Verwendung finden. Nur so können Trends, Tag-Verwandschaften und Beziehungen übergreifend erkannt werden. Einige der aktuellen Tools haben seit einiger Zeit entsprechende Massnahmen ergriffen. So schlägt del.icio.us beim Übernehmen oder Hinzufügen eines bekannten Links automatisch einige häufig in diesem Kontext benutzte Tags vor, zusätzlich werden die eigenen bislang häufig verwendeten Tags angeboten. Yahoos My Web 2.0 unterstützt die Eingabe von neuen Tags zusätzlich durch eine Autocomplete Funktion (nach Eingabe der ersten Buchstaben versucht das System automatisch das Wort zu vervollständigen). Yahoo zieht hierbei allerdings nur Daten von Usern aus dem eigenen Beziehungsumfeld zu rate. Sehr clever! Beide Wege verfolgen das Ziel, die Anzahl unterschiedlicher Begriffe, die das Gleiche meinen, so weit wie möglich zu reduzieren.
Der Erfolg dieses technischen Eingriffes ist groß, führt allerdings auch unter Umständen zu einer Verwässerung der inhaltlichen Substanz, zu zuviel Veralgemeinerung und zu wenig Individualität und Kreativität bei der Vergabe von neuen Schlagworten.

Zwischen diesen beiden Polen muss noch ein Gleichgewicht gefunden werden. Derzeit basieren ohnehin aller Erfahrungen auf englischsprachigen Folksonomien, größere deutsche, spanische oder französische Angebote sucht man (noch) vergebens.

Mehr User bedeuten nicht zwingend mehr Qualität

Eine Analyse von Clay Shirky beschäftigt sich mit dem Phänomen das Eintritt, wenn viele Benutzer eine Webseite bei del.icio.us speichern. Clay vergleicht Taggen in seinem Beispiel mit der Wahl eines Restaurants. Wenn es gilt, zwischen zwei Menschen, die sich kennen und schätzen, ein Restaurant auszuwählen, können sich diese vielleicht auf das usbekische Spezialitäten Restaurant in Queens verständigen, wächst die Gruppe aber deutlich, ist es mehr als wahrscheinlich, dass sich alle bei einem Italiener mittlerer Preisklasse wiederfinden. Auf Folksonomien bezogen meint dies, dass innerhalb einer kleinen Community exotische Tags eine Chance auf Verteilung haben, wächst aber die Gruppe der Personen, die einen bestimmten Link gespeichert haben, entfallen nach und nach mehr Stimmen auf die Tags mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Zwar wächst auch der Long Tail, die Top Tags werden aber immer häufiger und somit stärker und dominanter. Es gilt eine Balance zu finden, die sowohl die Summe der Tags im System begrenzt, aber dennoch die Individualität und Kreativität des Einzelnen fördert.

Gute Tags sind wichtig für die Suche

Als ein Seiteneffekt der großen Varianz von Tags um eine Seite, werden vermutlich auch immer wieder Schlagworte vergeben, die im Inhalt der Seite gar nicht auftauchen, aber dennoch eine große Relevanz für den Content haben, diesen vielleicht sogar besser beschreiben, als der Autor es in seiner Headline getan hat. Durch diese externe menschliche Einschätzung kann ein Inhalt auch unter Gesichtspunkten auffindbar gemacht, die weit über die Möglichkeiten der normalen Websuche hinausgeht, vielleicht sogar über die ursprüngliche Intention des Autors hinausgeht. Dies ist ein echter Gewinn an Qualität gegenüber rein maschinell agierenden Suchalgorithmen.

»Die Informationsfilter, die wir benötigen, sind meistens menschlich«, beruhigt Thomas Burg in dem Zeit Artikel Die Humanisierung des Netzes von Mario Sixtus: Ein kompetenter Umgang mit Blogs und anderer sozialer Software führt nicht etwa zu mehr Information, sondern zu individuellerer.

Wie stark können Folksonomien wachsen?

Im August hat Philip Keller einen interessanten Artikel veröffentlicht, der der Frage nachgeht, wie skalierbar del.icio.us ist. Auch diese Frage wiederum in zweierlei Hinsicht – sowohl technisch, als auch inhaltlich.

Es scheint, dass die technische Grenze einer MySQL Datenbank nahezu erreicht ist, das das hinzufügen neuer Server nicht mehr den gewünschten Geschwindigkeitszuwachs, wie in der Vergangenheit üblich, bringt. Philip hat Experimente mit verschiedene Tabellenstrukturen unternommen und schlägt in seiner Quintessenz del.icio.us den Wechsel zu einer Kombination der Datenbanksysteme von Toxi und mysqlicious:

I think you could have “mysqlicous fulltext” and “toxi” running at the same time. That means you have to update/insert in both schemas but when you have to query, you could take the one you think is faster: For simple union the mysqlicious without fulltext search, for intersection queries with common tags the toxi, and for those with uncommon tags the mysqlicious fulltext variant.

Die inhaltliche Frage des Wachstums ist noch nicht geklärt, das Szenario der Fragestellung scheint jedoch klar umrissen. Derzeit zeichnet sich delicious als stetiger Quell neuer Informationen und von Menschenhand ausgewählter Links zu Schwerpunkten wie Design, CSS, Webentwickung, Blogging oder PHP aus. Diese Gewichtung ergibt sich natürlich aus den Themen der aktuellen User, auch nach zwei Jahren kann man vermutlich von einem Kreise der Early Adopter sprechen. Also User, die in eben diesen Bereichen zuhause sind und stetig hochqualitative Links dazu beisteuern können. Allein deswegen ist die del.icio.us/popular Übersicht auch so spannend. Ich finde dort regelmässig neue Seiten und nutze delicious so häufig als Startpunkt von Webexkursionen. Was aber, wenn der Mainstream einzieht? Wenn Themen wie Basketball, Autotuning, Witze und Cartoons die poulärsten Themen werden? Was, wenn meine Themen entsprechend ihrer demografischen Verteilung in der realen Welt in den Hintergrund treten? Wird ein solches System für mich weiterhin interessant sein? Oder kommt dann der Punkt, in dem eine Zellteilung erfolgt? Kleine Gruppen, die Links zu ihren Schwerpunkten pflegen, aber eng verzahnt mit dem großen ganzen sind? Verbunden über Tags und Beziehungen zwischen den Usern?

Rückblick: Alle bisherigen Inhalte des Monatsspecials

  1. Einführung – was sind eigentlich Tags
  2. Aktuelle Trends, Probleme und offene Fragen
  3. Die bekanntesten Tools
  4. Tagging Strategien
  5. Best Practice

Weiterführende Links:

oder alle Links gesammelt und stetig aktualisiert bei delicious auch als RSS

von Oliver Wagner

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