Es ist rund zwei Jahre her, dass wir uns intensiv mit der Konzeption eines neuen E-Mail Dienstes für Lycos befasst haben. Mal abgesehen von der Tatsache, dass das Produkt, dass aus diesen Überlegungen entstanden ist in wenigen Tagen eingestellt wird, so habe ich in dieser Phase sowie im weiteren Betrieb einiges über den Umgang und die Nutzungsgewohnheiten unserer User gelernt – und ich finde es sehr spannend, dass auch Google für GMail jüngst Gedankengänge öffentlich gemacht hat, die sich in vielen Punkten mit unseren Erfahrungen decken.
Ein der zentralen Fragen bei der Konzeption eines zeitgemäßen E-Mail Produktes ist die, nach dem Verwaltungs- oder Sortierungsprinzip, dass dem Dienst inne wohnt. Im Wesentlichen gibt es zwei Spielarten: Ordner und Tags. Beide haben eindeutige Vor – aber auch Nachteile. Ordner sind dabei das traditionelle Prinzip. Eingehende E-Mails werden automatisiert oder manuell nach ihrem Eingang oder ihrer Bearbeitung in Ordner verschoben. Oder in Unterordner. Oder noch eine Ebene tiefer. Dabei kann eine E-Mail stets nur an einem Ort sein. Das ist gut – aber nicht perfekt. Denn wenngleich viele Mails eindeutig zugeordnet werden können, so sicher nicht alle. In jedem Falle geben gut strukturierte Ordnerebenen ein sicheres und ein durch ihre Analogie zum realen Leben gewohntes Gefühl der Ordnung und Kontrolle. Dies kommt dem mentalen Modell von Organisation und Verwaltung am nächsten.
Tags (oder Labels) verhalten sich anders. Ein Element kann mehrere Schlagworte auf sich vereinen. Unbenommen davon haben diese aber keinen unmittelbaren Einfluss auf dessen physikalischen Aufenthaltsort. Sprich: Eine Mail mit kann mit den Tags Reise und Business belegt werden, bleibt aber dennoch weiterhin in der Inbox des Nutzers. Es ist ihm so aber möglich über zwei unterschiedliche Einstiege nach der Nachricht zu suchen. Zum einen findet er sie in der Übersicht seiner Reisen, zum anderen parallel auch über die Ansicht auf seine Business-Mails. Diese Form des Taggings alleine macht noch nicht wirklich viel Sinn, erst wenn man sie mit drei weiteren Maßnahmen kombiniert wird es spannend. Zum einen mit automatischen Filtern, die Mails direkt bei ihrer Ankunft anhand von Merkmalen wie Absender, Empfänger, Subject oder Text klassifizieren und zum anderen durch eine Archivfunktion, die Mails aus der Inbox in das Archiv verschieben, von wo aus sie weiterhin über die Ansicht auf die Tags erreichbar bleiben. Besonders wichtig ist als drittes Element in diesem Kontext dann noch eine gute Suchfunktion um auch direkt nach Mails recherchieren zu können.
Persönlich kommt der zuletzt beschriebene Ansatz meinem Nutzungsverhalten am nächsten und ich halte ihn der streng hierarchischen Ordnerstruktur für deutlich überlegen und wesentlich effizienter. Aber, obwohl Tagging bei weitem kein neues Prinzip ist, bleibt vielen Nutzern zunächst die dahinterliegende Funktion verborgen. Und so haben wir für Jubii vor einiger Zeit, genau wie Google vorgestern für GMail, eine Funktion eingeführt die unter „Move to“ beide Welten näher zusammen rückt. „Move to“ kombiniert die Funktion des Taggens mit dem Archivieren und fühlt sich für Nutzer die noch enger mit dem Prinzip der Ordner verhaftet sind fast so an, als würden sie die Nachricht in einen Folder verschieben. In Jubii wurden diese Views noch ergänzt um etwas, das der Funktion der intelligenten Ordner recht nahe kommt. Also vom System vorgegebene Ansichten auf ungelesen Mails oder auch neue Nachrichten von Freunden.
Eine weitere Idee, die heute in den Google Labs vorgestellt und bereits in GMail implementiert wurde, finde ich für die weitere Optimierung der Usabilty von Nutzergruppen, die ähnlich arbeiten sehr sinnvoll: Zusätzliche, individuell festlegbare Inbox-Ansichten, die jeweils den direkten Zugriff auf bestimmte Inhalte, auf Drafts oder Tags bieten.
Ohne Frage erfordert diese optionale Ansicht einen relativ hohe Bildschirmauflösung und mag auf den ersten Blick sehr komplex wirken. Kombiniert man dies jedoch mit automatischen Regeln, dem Kennzeichen von noch zu bearbeitenden Nachrichten und der konsequenten Archivierung von Inhalten, so bringt uns dies dem Wunsch nach Inbox Zero ein großes Stück näher. Wobei einschränkend hinzugefügt werden muss, dass Zero, also eine leere Inbox wohl nur noch für die zentrale Inbox, Drafts und gekennzeichnete Mails gelten kann – die anderen werden permanent und automatisch neu befüllt.
Nach der Aktivierung von Multiple Inboxes im Labs Bereich von Gmail können in den Settings folgende Ansichten konfiguriert werden:
is:starred
is:unread
has:attachment
label:something